Das Imperium schlägt zurück

Was ist nicht alles geschrieben worden über den Abgesang der russischen Vorherrschaft im Schach. Der Anfang des Kandidatenturnieres schien diese Meinung zu bestätigen die drei russischen Vertreter sammelten sich in der zweiten Tabellenhälfte.
Reinhard und Burkhard Atze besuchten am Samstag, den 24.03.2018, das Turnier. Hier ihr Bericht:

Prelude
Als der Schachbund seinen Bonus-Code für das Kandidatenturnier veröffentlichte schlug ich zu. VIP-Karten (Gold-Tickets) sollten es sein, damit wir auch im Spielsaal kiebitzen konnten. Aufgrund der Mannschaftswettkämpfe wählte ich die 12. Runde aus – ein bis auf U13-Cup – sonst schachfreies Wochende.

Am Freitag reisten wir nach Berlin um am Monatsschnellturnier meines alten Vereins Chemie Weißensee teilzunehmen. Mit drei Punkten landete ich auf meinem Setzlistenrang, während Reinhard noch Lehrgeld zahlen musste – die Mehrfiguren in drei Partien brachten (noch) nichts zählbares ein.
[Kreuztabelle]

Die Ruhe vor dem Sturm
Am Samstag nach einem ruhigen Vormittag bei meinen Eltern ging es auf zum Turnier. Die ersten Fan-Berichte waren eher zwiespältig – mal sehen was uns erwarten würde. Die Anreise zum U-Bahnhof Gleisdreieck verlief problemlos. Nach kurzer Orientierungsphase sah man dann auch schon das Kühlhaus – die Fassade vollständig von einem riesigen Transparent verhüllt:

Entering this Building might substantially increase your IQ. Chess does that to humans.

Über das Ambiente ist viel geschrieben worden. Ich fand die Lokalität sehr passend für den Kandidatenwettkampf und der morbide Charm des Kühlhauses passt sehr gut Berlin zu Berlin.

Wir waren recht frühzeitig angereist, um voher noch etwas Zeit zur Orientierung zu haben. Mit unseren Gold-Tickets durften wir den Vordereingang benutzen – sonst wäre es über den Hinterhof gegangen. Garderobe abgeben und die Räume erkunden. Die erste Etage war der Spielsaal und öffnete erst 20min vor Rundenbeginn, in der zweiten Etage – Zuschauerraum für Weiß-Tickets – hatten sich einige schon frühzeitig ihren Platz ganz vorn an der Balustrade gesichert, die dritte Etage für Gold- und Silber-Tickets war noch leer. In der vierten Etage war der Raum für die deutschsprachige Live-Kommentierung, die Pressekonferenzen und auch sonst der Aufenthaltsraum für alles Weiß-Ticket-Besitzer. Ein Fide-Verkaufsstand bot recht spärliche und vor allem teure Ware an (Die limitierten original Schachfiguren z.B. für 350 €, drei Papierschachpläne für 15 €, Pins á 5 €, Kaffeetassen á 15 € …) Weiterhin gab einen Obst-und-Getränke?-Stand sowie je einen Getränke- und Snack-Automaten.
Was es nicht gab war eine Turnierbroschüre oder Rundenbulletins, einen Bücherstand, Infostände vom Schachbund oder Berliner Schachverband. Hier zeigte sich deutlich, dass die Veranstaltung von Agon am Deutschen Schachbund vorbei geplant wurde.
Wir kauften jemandem einen Papieschachplan für fünf Euro ab und Reinhard begab sich auf Autogrammjagd. Erstes Opfer wurde Arthur Jussupov, der sich auf Feld A2 verewigte.
Nun begaben wir uns in die Gold-Lounge. Das Ambiente unterschied sich deutlich von dem 4. Obergeschoss: Sofas, Couchtische und die englische Live-Kommentierung mit Judith Polgar und Lawrence Trent weiterhin eine Bar an der man freie Getränke bekam, Obstschalen und Snackschüsseln.

Vorhang auf, die Show beginnt.
Kurz vor Rundenbeginn begaben wir uns auf die Spielebene um die Ankunft der Spieler zu sehen. Alle Spieler wurden von einem ca. 1,60m großen Sicherheitsmitarbeiter mit einem Detektor gründlich untersucht, damit keine eletronischen Hilfsmittel in den Spielsaal gebracht werden. Die meisten Spieler gingen erstmal in den Ruheraum, während sich Alexander Grischuk mit Plastetüte – wahrscheinlich mit Verpflegung sofort zu Platz begab. Der offizielle erste Zug wurde vom ehemaligen Präsidenten des deutschen Schachbundes Robert Klaus Freiherr von Weizsäcker am Brett von Sergej Karjakin gegen Fabiano Caruana ausgeführt. In den ersten 15 Minuten war sogar das Fotografieren mit Handys gestattet. Das Handyverbot danach wurde nur sehr lax durchgesetzt. Ich sah selbst in der Zeitnotphase Kiebitze, die mit ihrem Handy Fotos machten.

Es entwickelte sich ein sehr interessanter Spieltag mit hochklassigem Schach, interessanten Opfern – Kramnik opferte eine Figur für starke Bauern, Karjakin eine Qualität für einen Monsterläufer.
Wir wechselten während der Spielzeit zwischen Spielsaal und Gold-Lounge. Während der After-Game-Pressekonferenzen ging Reinhard auf die vierte Ebene um auf Autogrammjagd zu gehen. Er ergatterte von allen Kandidaten außer von Mamedjarov, der enttäuscht schnell das Weite suchte. Ding Liren zeigte Nehmerqualitäten hielt Mamedjarovs Druck stand und konterte dann eiskalt. Da auch Karjakins Opfer durchschlug, verloren beide Führenden.