Klaus Wagner – wer ihn kannte, weiß, was wir verloren haben
Wieder erschüttert uns im jungen Spieljahr eine Nachricht: Ein Kamerad aus unserer Mitte erkrankt ganz plötzlich schwer und
verstirbt nach nur wenigen Tagen. Und wieder möchten wir die Zeit zurückdrehen, uns wenigstens von ihm verabschieden und ihm sagen dürfen, wie viel er uns bedeutet hat. Nicht nur als Schachspieler mit seiner Leistung, seinen Punkten, die er für seine Mannschaft erkämpft hat, sondern als jemand, dessen Wesen einen Verein bereicherte. Einfach weil er so war, wie er war.
Wenn Klaus Wagner auf trockenste Art einen Spruch „raushaute“, hinein in die angespannte Ruhe des Schachabends, dann hatte das oft genug Potenzial, den Tag zu retten. Mir ist es bis heute ein Rätsel, ob ihm selbst dabei immer klar war, für welche Wirkung seine Bemerkungen sorgten. Die stille Heiterkeit in ihm war der Nährboden für so manchen Schalk. Er musste nicht über pointierte Sätze nachdenken – die sammelten sich einfach in ihm und wenn sie nur hartnäckig genug drängelten, ließ er sie halt fliegen. Vielleicht ließ er sich aber auch inspirieren – draußen im Wald, einem seiner liebsten Plätze, oder daheim beim „Holz machen“. Entstand dabei sein trockener Humor? Möglicherweise auch beim Fußball, Kartenspielen oder eben Schach. In einer dieser Missionen war er in aller Regel immer unterwegs.
Seine Familie lebt in der Umgebung, zwei Kinder hat er, drei Enkel und zwei Urenkel. Sie waren gemeinsam mit seinen Hobbys die Fundamente seiner Zufriedenheit. Mehr brauchte er nicht, um glücklich zu sein. Damit ruhte er gewissermaßen in sich. Nie hatte man das Gefühl, dass ihn überhaupt IRGENDETWAS aus der Ruhe bringen konnte. Sollte er tatsächlich einmal außergewöhnlich aufgeregt gewesen sein, weil zum Beispiel von seiner Partie der Ausgang eines Punktspiels abhing, dann sahen das nur die, die ihn gut kannten. Seine Freude wiederum, wenn ihm ein Kunststück gelang, konnten dagegen ALLE sehen. Das feierte er dann auch, natürlich wieder auf seine eigene, bescheidene Art. Überhaupt gehörte Klaus zu den äußerst bescheidenen Menschen. Er war kein Konsummensch, eiferte nichts Großem nach. Er baute sich auch keine Denkmäler und schöpfte seine Energie nicht aus Gigantismen. Klaus hob einfach das kleine Glück am Wegesrand auf. Wenn seine Wernitzgrüner Fußballjungs spielten, fehlte er bestimmt nicht oft. Bei den Neikirnger Ringern gehörte er früher zum treuen Publikum. Wo sportlich was lief, da war Klaus nicht weit weg. Da kannte er sich aus, war er gewissermaßen Experte. „Rasender Reporter“ wurde er deswegen auch manchmal scherzhaft genannt – was jedoch nicht ganz den Kern der Sache trifft: Das „Rasen“ passt denn doch nicht zu ihm und „Reporter“ vermittelt den Eindruck, dass jemand sich laut mit seiner Kommentierung in den Vordergrund drängt. Das würde ganz bestimmt nicht für ihn gelten, denn im Vordergrund fand man den Klaus eher nicht.
Als Schachspieler nahm Klaus eine Sonderstellung ein. Viele hören ja irgendwann einmal auf, Schach zu spielen und finden dann den späteren Einstieg nicht mehr. Klaus jedoch war ein Rückkehrer. Er legte Anfang der 1990er eine Pause ein und konzentrierte sich auf seine anderen Dinge. Seit 2003 war er als Rentner wieder dabei – und wie! Er bereitete sich zu Hause auf seine Gegner vor und analysierte seine Partien hinterher ausgiebig. Da musste sich oftmals nicht nur der Wirt in Geduld üben – wenn Klaus einmal saß, dann saß er! Und überraschte in der Analyse seine Kameraden mehr als einmal mit frischen Ideen! Stundenlang konnte er grübeln: „Döi is weg… Eine Katastrophe… Total kaputt… Nix mehr zu machen… Kast neihaue…“, um dann mit „Neja, was issn mit dem?“ doch noch eine neue Variante einzuflechten.
Ralf Wander, jahrzehntelanger Vereins- und Mannschaftskamerad von Klaus, erinnert sich an sein erstes Sektionsturnier 1967 bei (damals noch) Motor Markneukirchen: In seiner allerersten Partie spielte er gegen Klaus Wagner. Ich habe recherchiert, dass es der 8. Juni 1967 gewesen sein könnte. Klaus war gegen den Neuling Ralf arg in Bedrängnis, wurde tüchtig überrumpelt. Er grübelte, schüttelte resigniert den Kopf und meinte: „Mir göit’s wöi ne Nasser!“ Der Sechstagekrieg zwischen Israel und der arabischen Welt tobte den vierten Tag und in der Haut von Ägyptens Präsident Gamal Abdel Nasser mochte an diesem Tag niemand stecken. Klaus konnte sich wohl einfühlen…
Eine andere Geschichte war geradezu legendär: Klaus spielte gegen den Schneidenbach Heinz. Beide hatten nur noch Könige und Bauern auf dem Brett. Klaus hatte sich ausgerechnet, dass sein Bauer eher auf die gegnerische Grundlinie ziehen würde und zur Dame würde. Heinz hatte etwas „geschnäpselt“, führte seinen Zug aus, vergaß, die Uhr zu drücken und döste ein bisschen ein. Klaus stand auf und lief herum. Irgendwann wachte der Schneidenbach Heinz auf, sah, dass seine Uhr lief, schlussfolgerte daraus, dass er dran wäre und zog noch einmal. Damit war später sein Bauer eher „drin“. Da beide nicht mehr mitgeschrieben hatten, konnte niemand mehr nachweisen, wie das zustande kam. Klaus fiel aus allen Wolken: „Des gitt’s doch neat…“
Eine dem Schachspieler typische Zerstreutheit zeigte sich natürlich auch in Klaus‘ Wesen: Er konnte zum Schachabend kommen und fragen: „Wen hoh ich ’n heit? Was spiel ma’n heit? Aaach, Blitz is heit? No dou, dou mach ich wieder hamm!“
Auch abseits vom Schachbrett erlebte er so manches Klaus-typische Abenteuer. Er selbst erzählte Ralf eine Anekdote von seinem Engagement beim Wernitzgrüner Fußball: Klaus war für Wernitzgrün sogar als Schiedsrichter tätig. Er musste einmal in Adorf ein Spiel pfeifen, das so schlecht lief, dass ihm die Zuschauer an den Kragen wollten. Er nahm Reißaus, lief zum Bahnhof und sprang in den Zug. In Neikirng angekommen, fiel Klaus ein: Ach! Ich woar doch mit’m Motorrädl!
Es werden wohl die lustigen Begebenheiten sein, die uns in Erinnerung bleiben. Der trockene Humor eines Mannes, der sich selbst nicht für so wichtig nimmt. Wenn man sich ihn vorstellt, sieht man ihn am Brett sitzen – nach vorn gebeugt, still, die Hände auf den Beinen unter dem Tisch. Grübelnd. Analysierend. Und wenn er kurz aufschaut, sich die Blicke treffen, er ein bisschen dazu nickt, dann weiß man, dass sich der nächste Spruch schon nicht mehr aufhalten lässt.
Frank Weller
…und wir glaubten, wir hätten noch so viel Zeit.